Sozialstrukturen von Fledermäusen

Die Kombination genetischer Daten mit Feldbeobachtungen ergab, dass Bechsteinfledermäuse (Myotis bechsteinii), die Art, mit der wir uns seit mehr als 20 Jahren beschäftigen, in komplexen sozialen Gruppen leben, die durch Spaltungs- und Fusionsdynamik und Kooperation gekennzeichnet sind. Die Weibchen geben Informationen über gemeinsame Schlafplätze weiter, putzen sich gegenseitig und treffen kontextabhängige Gruppenentscheidungen darüber, wo der nächste Schlafplatz sein soll. Wir fanden Hinweise auf komplexe Kommunikation, Gruppenerkennung und kontextbezogene soziale Interaktionen. Bei mehreren Fledermausarten, die in verschiedenen tropischen und gemäßigten Ökosystemen leben, untersuchen wir, wie soziale Systeme und genetische Populationsstrukturen durch unterschiedliche Paarungssysteme, Lebensraummerkmale und Ausbreitungsstrategien beeinflusst werden. Wir haben festgestellt, dass sich das Ausbreitungsverhalten zwischen den Arten stark unterscheidet und von strikter weiblicher Philopatrie bis zur Ausbreitung beider Geschlechter reicht, wobei die Unterschiede in den Ausbreitungsmustern mit den Unterschieden in den Paarungssystemen zusammenhängen. Wir verwenden Ansätze für soziale Netzwerke, um die Flexibilität sozialer Strukturen innerhalb und zwischen Arten zu bewerten. Trotz der intra- und interspezifischen Variation der Sozialstrukturen von Fledermäusen kann das Sozialsystem einer bestimmten Art über große geografische Entfernungen und über Populationen hinweg erhalten bleiben, die in unterschiedlichen Umgebungen leben und eine unterschiedliche phylogeografische Geschichte haben. Insgesamt haben unsere Forschungen zu Fledermäusen zu der Erkenntnis beigetragen, dass die sozialen Systeme von Fledermäusen weitaus komplexer sind, als man sich das früher vorgestellt hat.
 
In den letzten 20 Jahren haben wir eine Langzeitstudie über die Bechsteinfledermaus in Mittel- und Osteuropa durchgeführt. Dieses Projekt, das inzwischen mehrere internationale Kooperationen umfasst, ermöglicht detaillierte Einblicke in den Einfluss der Sozialstruktur und der Umwelt auf die genetische Zusammensetzung, die Ökologie und das Verhalten von Fledermauspopulationen und die Beziehungen zu zwei Ektoparasiten (Flügelmilben und Fledermausfliegen) sowie zu verschiedenen Viren. Darüber hinaus sammeln wir seit mehr als 10 Jahren vergleichbare Feld- und genetische Daten von Kolonien des Braunen Langohrs (Plecotus auritus) und seit kurzem auch von Natterer-Fledermaus-Kolonien, deren Individuen ebenfalls mit PIT-Tags markiert sind. Wir nutzen diese Langzeitdaten, um die Demografie freilebender Populationen zu untersuchen und die Faktoren zu bewerten, die die altersbedingte Sterblichkeit bei Fledermäusen beeinflussen. Unsere Daten haben wichtige Auswirkungen auf den Naturschutz und ermöglichten die Ausweisung von Schutzgebieten (FFH) in Deutschland und Bulgarien. Die verfügbaren genetischen und Felddaten stellen eine umfangreiche Datenbasis dar, auf der unsere zukünftigen Projekte aufbauen können.

Bechsteinfledermaus (Myotis bechsteinii) im Flug
Fledermauskasten mit Datenlogger für RFID-Transponder